Dienstag, 5. August 2014

Doppelmoral - kaum jemand glaubt noch an Treue

Schweigen ist Gold

Doppelmoral Kaum jemand glaubt noch an Treue. Aber nur wenige können über ihre Affären reden. 
Ich sitze in gut gemischter Runde in einer Kneipe in Wien. Zwei Paare und ein Mann und eine Frau, deren Partner jeweils daheim geblieben sind. Das Essen ist aufgetragen, die Unterhaltung plätschert freundlich. Ich denke, ich probier’s mal und frage: „Was haltet ihr eigentlich von Monogamie?“ Schweigen. Ich sehe Augen sich weiten, wieder verengen. Es vergehen einige Sekunden, bevor Cathy das Eis bricht.
„Ah, that’s too complicated.“ Cathy, die coole Braut, stammt eigentlich aus San Francisco. Dann geht das allgemeine Gespräch weiter, als wäre nichts gewesen. Über die Wahlschlappe der Rechten in Kärnten, über Ulrich Seidls neueste filmische Geschmacklosigkeiten und die besten Hirschwürste in Wien. Mein Thema ist abgewehrt. Sanft und geschmeidig lässt diese Gruppe gebildeter Mittdreißiger – alle in „festen Händen“, wie man so sagt – das Thema im Sand verlaufen.
Auf die Frage „Wie hältst du’s mit Treue?“ gibt es keine saubere Antwort. Die Sache ist schmerzhaft und unangenehm. Sie macht ungeduldig und unruhig, erinnert an den Drahtseilakt zwischen Wunsch und Wirklichkeit und an ein Dilemma, das unter unseren Lebens- und Liebesbedingungen offenbar nicht recht zu lösen ist.
Denn Sex ist ja eigentlich keine große Sache mehr und recht banal geworden. Schließlich ist er überall zu sehen, als Bild und Schrift immer zugänglich. Jeder und jede hat diverse Erfahrungen gemacht oder tut zumindest so, deutet in abstrakten Formulierungen Kenntnisreichtum an. Tabus sind uncool. Es gibt sie offenbar nicht mehr. Man gibt sich locker, liberal, vor allem was den „one night stand“ angeht. Als wäre einmal keinmal und Sex ganz easy. Warum aber führt dann alles, was über den einen „Ausrutscher“ hinausgeht, warum führen Affären so oft zu Katastrophen? Das sogenannte „Fremdgehen“ ist ja eine der wenigen Möglichkeiten, heutzutage mittels Sex noch Bomben zu legen, zumindest im Privatleben.
Ich stelle mir vor, dass in Ihrer Runde wiederum jeder vom anderen weiß, wie er oder sie es mit Treue hält, nicht? Vorausgesetzt die Leute kennen sich gut. Nicht selten weiß man über befreundete Paare ja mehr, als die zusammen über sich. Eine unheimliche Vorstellung, irgendwie. Andererseits auch schön, man trägt die Geheimnisse der anderen. Aber über Sex zu reden ist ja fast wie Sex haben. Da will man lieber zu zweit sein, nur wenige haben Erfahrungen zu dritt oder viert. Eine Frage des Gleichgewichts wahrscheinlich. – Ich mische mich hier mal ein. Ich finde es eine lustige Vorstellung, ausgerechnet in einem Text über Monogamie mit zwei Stimmen zu sprechen. Außerdem haben Ihre Fragen doch mit dem Leben zu tun, und vielleicht können wir uns bei der Suche nach Antworten gut ergänzen. Sind Sie einverstanden?
Ein Dilemma scheint grundsätzlich in die Struktur der Liebe eingewoben. „Love is a triangle“, schreibt die Dichterin und Altphilologin Anne Carson und meint damit, dass Eros eine Sache zwischen Zweien ist, die nur in Bezug auf ein potenzielles Drittes funktioniert. Immer ist die Dyade von außen bedroht und zugleich belebt. Wir wissen das und haben Angst.
Lebenslange Treue?
Sex ist ungeheuerlich
Die bürgerliche Lüge
An jenem Kneipenabend kann ich doch noch etwas herausholen. „Es geht beim Fremdgehen immer ums Ego“, sagt Benjamin und lässt offen, ob egozentrisch diejenige ist, die eine Affäre hat oder derjenige, der eifersüchtig reagiert. Ich habe das Gefühl, er und seine Freundin mogeln sich so durch. Theoretisch haben sie sich auf Offenheit und Toleranz verständigt, hoffen aber, dass die Wirklichkeit ihr Konzept auf keine harte Probe stellen wird. Cathy, die Frauen liebt, spielt die intellektuelle Karte. Monogamie sei natürlich ein heterosexuelles Konstrukt, und das Gegenmodell sei nicht Polygamie, sondern Polyamorie – also Sex mit anderen, verbindlich oder unverbindlich, ohne Heimlichkeit. Das sei das derzeit wohl anspruchsvollste Liebeskonzept, meint sie, und wahrscheinlich gerade deshalb leider überhaupt nicht mehrheitsfähig. Als Johannes Ponader, der bald nicht mehr amtierende Geschäftsführer der Piraten, öffentlich bekannte, polyamant zu leben, schlugen ihm die Vorurteile nur so entgegen. Er sei „nicht ganz normal“ und „durchgeknallt“, hieß es beispielsweise in der Community vonbild.de.
Nur Martin bleibt still und beschäftigt sich mit seinem iPhone. Ich weiß, dass er vor ein paar Jahren eine heftige Affäre hatte, die seine langjährige Beziehung zuerst zum Kippen brachte, bevor sich später alles wieder im harmonischen Maß der Normalität einpendeln konnte. Hört er, was wir reden? Denkt er etwas? Möchte er denken?
Das harmonische Maß der Normalität, das ist eine grausame Beschreibung dessen, was ein Paar letztlich zu einem Paar macht. #Alltag
Die großen Skandale der letzten Monate – mit den Protagonisten Dominique Strauss-Kahn, Silvio Berlusconi, Jörg Kachelmann, David Petraeus und anderen –, sie hatten alle irgendwie mit Untreue zu tun. Und folgt man dem Tenor vieler Diskussionen der letzten Jahre, so müssen wir uns einfach damit abfinden: Lebenslange Treue entspricht nicht unserer Natur.
Wenn überhaupt etwas zu uns zu passen scheint, dann ist es wohl die derzeit gern beschworene und gelebte „serielle Monogamie“. Sie löst den Widerspruch zwischen dem Wunsch nach Exklusivität einerseits und der sexuellen Lust auf Neues andererseits durch den Faktor Zeit.
Außerdem lässt sie sich evolutionsbiologisch hervorragend erklären. Wenn Frauen nach rund vier Jahren Partnerschaft die Lust verspürten, fremd zu gehen, so liege das im natürlichen Programm, meint zum Beispiel Helen Fisher in The Anatomy of Love. Man findet den Partner nämlich nur so lange interessant, wie es stammesgeschichtlich notwendig ist.
Danach drängt es das Menschenweibchen, sich für den nächsten Wurf nach neuem Erbgut umzuschauen. Das Männchen dagegen ist sowieso grundsätzlich volatil und stets darauf bedacht, die eigenen Gene möglichst breit zu streuen. Aus dieser evolutionsbiologisch inspirierten Perspektive lassen sich gehobene Scheidungsraten, nachlassende Beischlaflust in länger dauernden Beziehungen und der Trend zu hintereinander geschalteten Lebensabschnittspartnerschaften perfekt erklären. Das Institut einer lebenslang monogam geführten Ehe erscheint als unrealistischer Quatsch.
„Die entscheidende Frage ist nicht, warum wir eigentlich nicht treu sein können. Sondern warum unser Beziehungsideal auf einer Lüge gründet. Die Lüge, dass wir uns immer treu sein werden“, forderte zum Beispiel die Publizistin und Bloggerin Michèle Binswanger in der Zeit.
Diese Frage trifft ins Schwarze, aber Binswanger denkt sie nicht zu Ende. Denn die Sicht, wonach Sex allein die Gene durchbringen will und Liebe nur dem Sex dient, ist schal bis zum Abwinken. Sicher lassen sich unsere Herzens- und Lendenregungen auch aus der Stammesgeschichte erklären, wer sich aber damit zufrieden geben will, der mag seine Zeitung demnächst auf Bäumen sitzend lesen.
Ich will hier auch noch einmal gegen diese evolutionsbiologischen Szenarien einwenden: Vielleicht ist Sex ja doch die einzige Währung der Liebe? Ihre einzige Form. Viele Paare, die ich kenne, trennen sich tatsächlich nach dem ersten oder zweiten Kind. So schwer das gerade dann fällt, so mühsam das dann ist. Aber als die Kinder noch nicht auf der Welt waren, war man einfach ein anderer Mensch. Das versteht niemand, der keine Kinder hat. Da kann hinterher die Liebe verloren gehen und mit ihr beinahe zwangsläufig der Sex. Er wird zum Ritual. Wie einkaufen gehen, in den Urlaub fahren. Fast schämt man sich, dass die Kinder beim Sex nicht dabei sind. Nein, das war ein Witz. Aber sich so herauszunehmen aus dem Familienalltag, um miteinander ins Bett zu gehen, das ist eine fast schon unnatürliche Bewegung. Spontan gelingt sie nie. Ein Paar zu sein ist eben etwas grundsätzlich anderes als eine Familie. Warum halten wir eigentlich das eine für das andere? Warum glauben wir, das eine könnte aus dem anderen entstehen?
Offenbar ist das Treuegebot eine Kulturleistung. „Ohne die Erscheinung, die wir Treue nennen“, meint der Vater der Soziologie, Georg Simmel, sei eine Gesellschaft in Beständigkeit nicht möglich. Und immerhin hat sich die monogame Ehe als Rechtsprinzip in den meisten Staaten der Erde durchgesetzt; eine Liberalisierung der Sitten ist relativ neu. Erst seit dem Jahr 1969 wird Ehebruch in Deutschland nicht mehr strafrechtlich sanktioniert.
Nicht nur das Recht, auch die Bindungsbedürfnisse der menschlichen Psyche stehen der angeblich polygamen Triebnatur entgegen. Der Ethnologe William Jankowiak hat interessante Studien in Mormonengemeinschaften durchgeführt. Die Gemeinschaft „Angel Park“ in den USA begreift Polygynie als einen religiösen Weg zur Erlösung und schreibt daher die Vielehe für Männer vor. Man glaubt auch daran, dass Ehepartner nach göttlichem Ratschluss schon vor der Geburt füreinander bestimmt seien. Die Scheidungsrate in Angel Park liegt allerdings bei 40 Prozent, und Jankowiak beschreibt die Gemeinschaftsmitglieder in einer Zerrissenheit zwischen gesellschaftlich-religiöser Überzeugung und persönlichen Gefühlen: „Sie begrüßen das polygame Prinzip und seinen Ruf nach Pluralität und versuchen dennoch gleichzeitig, die romantische Leidenschaft gegenüber einem bestimmten Partner aufrecht zu erhalten.“
Das klingt, als hätten die Mormonen ganz ähnliche Probleme wie wir, zumindest ist ihr Dilemma dem unserem nicht fremd. Jankowiak versteht das „Bedürfnis, sich mit einer einzigen anderen Person emotional und physisch zu vereinigen“ als eine menschliche „biopsychologische Konstante“, und hält demnach die „leidenschaftliche Liebe“ für ein kulturübergreifendes Phänomen. Damit widerspricht er der im Moment vorherrschenden relativistischen Überzeugung, romantische Liebe sei ein historisches Produkt und eine Erfindung des europäischen Bürgertums. Wenn Jankowiak recht hätte, dann wäre Romantik genauso unausrottbar wie der angebliche Drang, die eigenen Gene breit zu streuen.
Das Bedürfnis nach Exklusivität und Einzigartigkeit kann mitunter recht despotisch werden, wie wir alle wissen. Aber warum macht es sich ausgerechnet am Sex fest? Warum gilt Sex als Bestätigung der einzigartig intimen Bindung? Schlagen wir uns da nicht mit Relikten aus alten Zeiten herum, als Fortpflanzung und Nachkommenschaft noch die zentrale Sinnstiftung der Ehe waren? Warum stellen wir nicht gemeinsames Briefmarkensammeln, Sich-gegenseitig-am-Ohrläppchen-Ziehen oder andere, rein privat gewählte Kriterien ins Zentrum der Treueforderung? Vielleicht machen das sogar einige. Aber viele sind es nicht. Eingefleischte Swinger-Pärchen, souverän promiske Schwulen-Communities und bewusst polyamorisch lebende Menschen sind vermutlich die Einzigen, die es geschafft haben, Sex nicht zum Gradmesser der Treue, sondern eben eher zu einer Art Hobby zu machen.
Tatsächlich beginnen Affären immer dann als solche bezeichnet zu werden, wenn man Sex hat. Gemeinsam zu Abend zu essen, miteinander zu reden, wie intim die Gedanken auch immer sein mögen, setzt niemanden unter Rechtfertigungsdruck. Der beginnt erst nach dem ersten Kuss. Auch das schlechte Gewissen, die Schuld. Obwohl es auch das Phänomen der intellektuellen Eifersucht geben soll, wie mir letztens jemand erzählte. Das ist zumindest ein interessanter Gedanke, erlebt habe ich das noch nie. Eher im Gegenteil, viele Paare veröden ja auch deshalb, weil sie mit kaum jemandem neben ihrem Partner wirklich reden. Und auch irgendwann selbst mit dem nicht mehr richtig. Vor allem Männer. Das ist eine gewagte These, aber ich würde sagen, viele Männer fangen erst an, nach dem Sex zu reden. Männer brauchen Frauen, um sprechen zu können. Frauen haben dazu ihre Freundinnnen.
Auch bei jenen, die bewusst großzügig mit sexueller Treue verfahren, ist die Sache immer wackelig. Es ist nämlich nicht nur eine Lüge, ewige Treue zu versprechen, es ist auch eine Lüge zu behaupten, Sex sei nicht wichtig. Sex ist ungeheuerlich. Sicherlich wird er von nicht allen gleich wertvoll, gleich intim, gleich berührend erfahren. Dennoch bleibt die sexuelle Begegnung eine Grenzüberschreitung, eine Verschmelzung, die tief in den Körper und damit in die Seele eingreifen kann. Daher ist auch eine einmal vollzogene sexuelle Handlung nicht ungeschehen zu machen. Danach ist alles anders.
Ja, es sind die Körper, die sich erinnern. Sie speichern die Berührungen in sich. Manchmal für lange Zeit. Menschen, die einmal Sex miteinander hatten, reden anders miteinander. Ihre Körper verstoßen unweigerlich gegen jedes Gesetz einer alltagstauglichen Distanz. Sie rebellieren und suchen sich, weil sie sich ja schon einmal gefunden haben.
Der Körper reagiert auch monogam, zumindest in der glücklichen, ersten Zeit. Hat einmal die wirkliche Leidenschaft zugeschlagen, denkt man nur an diese eine Liebschaft, auch wenn man mit seiner Frau oder seinem Mann zu Hause im Bett liegt. Man will nur diesen einen begehrten Menschen. Keinen sonst. Es ist der Körper, nicht der Kopf, der Besitzansprüche stellt.
Deshalb beschreiben Menschen, die in Partnerschaften leben, die sich Affären erlauben, auch oft, dass der andere dann abtaucht, nicht mehr anwesend, sondern nur noch physisch da ist. Eine schwer auszuhaltende Situation in einer offenen Partnerschaft, stelle ich mir vor. Man kann sehen, wie der andere ständig an einen anderen denkt. Würde derjenige dann beginnen, von der Affäre zu erzählen, würde er viel kaputt machen. Er spräche dann wie ein Liebender und wird zu einem Außerirdischen. Zu jemandem, der man selbst vor langer Zeit auch einmal gewesen ist.
Denn Sex ist niemals wirklich sauber von Liebe zu trennen, genauso wenig wie sich eine Affäre klar von einer festen Beziehung unterscheidet. Das eine kann immer der Anfang des anderen sein. Sex und Affäre sind die Möglichkeit eines Beginns; es entsteht ein Horizont, der über sie hinausweist. Sie enthalten ein Begehren nach mehr. Nach Bindung. Nach Ewigkeit. Eines kann ins andere kippen. Es gibt keine klare Grenze zwischen Sex und Liebe, Affäre und Beziehung. Letztlich treffen sich Liebe und Sex in ihrem Totalitätsanspruch, im Anspruch auf das Absolute, und daher ist Sex auch der adäquate körperliche Ausdruck der Liebe.
Hier schreiben Sie es auch, der adäquate körperliche Ausdruck. Die Währung, die Form, habe ich geschrieben.
Wahrscheinlich hat das Aussprechen, das Geständnis, das Offene deshalb eine solche Sprengkraft. Der Paartherapeut Wolfgang Schmidbauer rät in seinem Buch Die heimliche Liebe zur gut gemanagten Affäre zwischen zwei jeweils anderweitig verheirateten Partnern. Dies könne eine sehr stabile und befriedigende Sache sein, sofern keiner der beiden Liebhaber unbewusst die Affäre doch dazu nutzt, seine Primärbeziehung zu beenden. Schmidbauer glaubt sogar, dass in der heimlichen Liebe, weil sie vom Alltag befreit ist, eine „libidinöse Kontinuität“ möglich sei, wie sie normale Ehen selten hinbekommen. Die Voraussetzung allerdings ist: nichts verraten. Die heimliche Liebe muss geheim bleiben.
Eine geheimer Ort des Utopischen? Ein Raum ohne Zeit und Gesetz, nichts stelle ich mir schwerer vor, als den zu gründen. Zumal die Affäre ja noch immer eine reichlich unbekannte, weil unbeschriebene Form geblieben ist, eine sehr erfahrungslose. Jeder, der sie beginnt, beginnt sie für sich allein. Wir schauen den anderen zu, wenn sie sich verlieben, wenn sie ein Paar sind, wenn sie eine Familie gründen, dann lernen wir von ihnen, so wie man als Kind von den Eltern gelernt hat. Affären aber finden im Verborgenen statt. Sie existieren, weil sie nicht existieren, hinterher nie existiert haben. Sie bleiben damit geschichtslos.
Dass wir über Affären so schlecht reden können, liegt auch daran, dass das Reden Tatsachen schafft. Hinter das Geständnis kann man nicht zurück, es beleuchtet grell genau die Bruchstelle, jene fundamentale Einsamkeit, die in jeder Liebe als Möglichkeit immer anwesend ist. Nun wird sie sichtbar.
Viele wollen daher nicht so genau wissen, was der Partner treibt, und agieren katholisch: Tu, aber sag’s mir nicht. – Wer gesteht, läuft auch immer Gefahr, dass der Partner sagt: Gib die Affäre auf, oder ich gehe. Dann schnappt die Zwickmühle zu. Das Reden über eine Affäre zerstört möglicherweise die alte Liebe, fügt ihr Schaden zu. Schweigt man aber über eine Affäre, erstickt die alte Liebe von innen. Die Lüge höhlt die Liebe aus. Das Spiel ist nicht mehr zu gewinnen.
Natürlich gibt es MeisterInnen des Doppellebens, und eigentlich ist die heimliche Liebschaft das schonendere Modell für alle. Wer aber das Absolute will, das Leben und die Lebendigkeit, kann auf das Doppelleben nicht vertrauen. Um aus den Zwickmühlen herauszukommen, bräuchten wir neue Selbstverständlichkeiten, mehr Mut und mehr Ehrlichkeit. Denn es herrscht ja der Common Sense, dass die glückliche Beziehung sich aber doch am Verdikt sexueller Treue auszurichten habe. In schönster Doppelmoral boomen Seitensprungagenturen, die offenbar nur von den anderen besucht werden.
Sich für immer zu treu zu sein, das ist ein Wunsch. Ein verständlicher sogar. Wer möchte nicht die Leidenschaft der ersten Wochen für immer festhalten? Die Sehnsucht will Unendlichkeit.
Die monogame Ehe ist die bürgerliche Lüge schlechthin. Weil sie in ihrer Angst vor dem Anderen die Affäre geradezu herausfordert. Ehebruch ist die logische Konsequenz der bürgerlich verstandenen Monogamie: Indem das Paar sich über den Ausschluss des Dritten definiert, hat es ihn als verbotene Lust schon mit ins Bett geholt, meint auch der Psychoanalytiker Adam Phillips in seinem Traktat Monogamie: „Das Paar muss die dritte Seite ständig stärken, um ihr weiterhin zu widerstehen … Zu zweit ist es gemütlich, aber drei sind ein Paar.“
Nicht alle Menschen, nicht alle Beziehungen sind gleich. Manche sind eben monogam, manche nicht. Manche können es nicht ertragen, den Partner in anderen Betten zu wissen, manchen ist es egal. Manche sind ängstlich und durch Untreue verletzbar, andere fühlen sich befreit. Was geht und was nicht, welche Lüste mit wem möglich sind, ist immer eine Sache der Verhandlung und des Ausprobierens.
Oft habe ich Paare von Treue reden hören, die mit Seitensprüngen gar keine Erfahrung hatten. Woher kannten sie dann Treue, habe ich mich gefragt. Worauf schworen sie eigentlich einander ein? Ich stelle mir vor, dass es für ein Paar etwas sehr Schönes sein kann, wenn der andere nach einer Affäre wieder nach Hause zurückkehrt. Wenn man, das klingt blöd, aber ich schreibe das jetzt trotzdem, wie nach einer Schlacht das Gefühl hat, gewonnen zu haben.
Verhandeln, Ausprobieren, Aussitzen wäre einfacher, wenn der Common Sense mehr Modelle zur Verfügung stellte. Man könnte zum Beispiel beginnen, die Begriffe „betrügen“, „fremdgehen“, „untreu sein“, „Seitensprung“ bewusster zu verwenden, den Brustton ihrer moralischen Empörung etwas dämpfen.
Cathy hatte neulich in der Kneipe recht, das Konzept der Polyamorie ist nicht mehrheitsfähig. Wahrscheinlich sind die meisten zu eifersüchtig, zu romantisch, zu ängstlich dafür. Sie sagen: Sexuelle Beziehungen zu öffnen funktioniert nicht. Mag schon sein. Vielleicht funktioniert es aber deshalb nicht, weil es kaum Rückhalt für eine Lebensform gibt, die sich konsequent den Widersprüchen der Liebe zu stellen versucht.

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